3138180052_7bac50cbf1Gabrielle_d_Estree_-_Louvre

 
Zur Zeit sorgt eine aus Amerika kommende Studie über die weibliche Sexualität der Psychologieprofessorin Meredith Chivers in den Medien für großes Aufsehen. Auch in Deutschland wurde nun mit einiger Verspätung diese Untersuchung in mehreren Zeitungen wie der Süddeutschen, Fokus und der Zeit erwähnt, doch das leider in einer ziemlich gekürzten Version (in der z.B. der lesbische Aspekt bei Frauen überhaupt nicht erwähnt wurde). Ich habe den Originalartikel in der New York Times gelesen und werde hier nun die unzensierte Fassung der neuesten Erkenntnisse zur der weiblichen Sexualität wiedergeben.

Über mehrere Jahre führte Meredith Chivers Messungen zur sexuellen Erregung von Frauen und Männern durch und verglich diese miteinander. Es wurde einerseits die subjektive Reaktion gemessen, in Form einer Skala auf der die Probanden das Ausmaß ihrer sexuellen Erregung angeben sollten und andererseits die objektive Erregung durch einen Plethysmographen – bei den Männern wurde ein Instrument an den Penis angebracht, welches seine Schwellung notiert und bei den Frauen eine sich in der Vagina befindende Plastik-Probe, welche die Feuchtigekeit der Vaginawände aufzeichnet.

Chivers zeigte dabei heterosexuellen und homosexuellen Männern und Frauen die gleichen Filme – Hetero-, Schwulen- und Lesbenpornographie, einen nackten Mann und eine nackte Frau, sowie kopulierende Bonoboaffen.

Das Ergebnis dieser Untersuchung war verblüffend – bei Männern stimmte die körperlich gemessene sexuelle Erregung mit der subjektiven so gut wie immer überein – Heteromänner reagierten am meisten bei Hetero- und Lesbenpornos, und Schwule bei Schwulensex sowohl körperlich als auch in ihrer eigenen subjektiven Bewertung. Die kopulierenden Affen ließen Männer beider Orientierungen völlig kalt.

Bei Frauen gab es dagegen ein völlig anderes Bild: bei allen Filmen, inklusive dem Bonobo-Porno, zeigten die Messinstrumente sowohl bei Heterofrauen als auch bei Lesben eine mehr oder weniger starke Feuchtigkeit der Vagina an – mit Ausnahme des Filmes der nur den nackten Mann zeigte – er löste bei Frauen so viel Erregung aus, wie das Bild einer schneebedeckten Bergkette. Die nackte Frau erregte dagegen sowohl die lesbischen als auch die sogenannten heterosexuellen Frauen. Und vor allem bei den Hetero-Frauen schienen Vagina und eigene Wahrnehmung kaum der selben Person anzugehören – sie gaben bei Lesbensex ein geringeres Ausmaß an sexueller Erregung an, als der Pletysmograph bei ihnen anzeigte, bei Schwulensex noch weniger und bei Heterosex viel mehr. Bei lesbischen Frauen stimmte die subjektive und objektive Erregung beim Lesbensex überein, doch beim Heterosex gaben auch sie weniger Erregbarkeit an, als die Instrumente anzeigten. Bei den Bonoboaffen gaben sowohl lesbische als auch heterosexuelle Frauen so gut wie keine Erregung an.

Es gibt also bei Frauen etwas, was Meredith Chivers „the big rift“ nennt, ein tiefer Graben zwischen der eigenen Wahrnehmung und der physischen Reaktion des Körpers. Seit den Ergebnissen von Chivers Untersuchung sind nun die Wissenschaftler vor ein großes Rätsel gestellt: Was will die Frau? So stellte man sich z.B. die Frage, ob die Frauen in den Versuchen wirklich nicht in der Lage waren festzustellen, ob sie sexuell erregt waren, oder ob sie auf Grund von konventioneller Erziehung bei den Filmen einfach nicht die Wahrheit angaben. Nach weiteren Tests stellte man jedoch fest, dass auch bei anderen körperlichen Reaktionen, wie z.B. Herzrasen in Stresssituationen, die Männer, im Gegensatz zum langläufigen Vorurteil, wesentlich besser in der Lage waren die Reaktionen ihres eigenen Körpers wahrzunehmen. Es gibt also Hinweise, dass das Auseinanderklaffen von Wahrnehmung und physischer Reaktionen bei Frauen auch in anderen Bereichen existiert – man stellte dies vor allem bei Frauen fest, die eine negative Einstellung zu ihrem Körper haben.

„Die schreckliche Wahrheit psychologischer Untersuchungungen ist, dass man das Biologische kaum von Soziologischen trennen kann.“, sagt Meredith Chivers, denn auch Transsexuelle (Mann zu Frau) wurden bei den Untersuchungen berücksichtigt – sie wiesen alle das selbe sexuelle Profil wie die Männer auf.

Und auch eine weiteres Ergebnis, welches bei einer Umfrage von Richard Lippa, Psychologe an der California State University, herauskam, überrascht: die sexuelle Orientierung der Männer mit einem starken Sexualtrieb ist noch mehr polarisiert, d.h. dass Hetero-Männer noch stärker auf Frauen und Schwule noch stärker auf Männer fixiert sind. Bei Frauen ist es jedoch genau das Gegenteil – je stärker die Lust am Sex, umso mehr sind Frauen an beiden Geschlechtern interessiert, für Lesben gilt dies wahrscheinlich weniger.

Es gibt mittlerweile verschiedene Auswertungen zu den Untersuchungen, doch keine scheint wirklich überzeugend zu sein. Sie alle scheitern daran, dass sie die Heterosexualität (bei Frauen) als Norm nicht hinterfragen, denn besonders auffällig war, dass sowohl Lesben als auch die sogenannten Heterofrauen eher auf Frauen als auf Männer sexuell ansprachen.

So versucht z.B. die Theorie der „Sexuellen Fluidität“ dies am Beispiel der Schauspielerin Anne Heche zu erklären, welche 1997 eine romantische Beziehung mit der lesbischen Komikerin Ellen DeGeneres einging und sich nach zwei Jahren wieder trennte, um einen Mann zu heiraten. Lisa Diamond, Professorin für Psychologie und Gender an der Universtity of Utah, beschreibt in ihrem Buch „Sexual Fluidity: Understanding Women’s Love and Desire“ mehrerer solcher Fälle und zieht daraus den Schluss, dass die Sexualität bei Frauen eher von emotionaler Bindung und Intimität bestimmt wird und dass deswegen die sexuelle Orientierung bei ihnen nicht wirklich festgelegt ist.

Was im Falle „Anne Heche“ jedoch oft vergessen bzw. verdrängt wird ist, dass die Schauspielerin, nachdem sie sich mit Ellen Denegeres in der Öffentlichkeit als Paar zeigte, sämtliche Rollen im Filmgeschäft verlor, da man sie für heterosexuelle Rollen als nicht mehr glaubwürdig empfand, und von ihrer religiösen Mutter derart unter Druck gesetzt wurde, dass sie eine Psychose bekam und in eine Klinik eingeliefert wurde. Kurz nach diesem Erlebnis erfolge auch ihre Trennung von Ellen Degeneres.

Auch wenn Frauen angeben, es sei ihre freie Wahl gewesen nach einer Beziehung mit einer Frau zu einem Mann zurückzukehren, glaube ich, dass dies in den meisten Fällen nicht so ist, denn der Druck der Gesellschaft trägt zum Scheitern von Frauenbeziehungen maßgeblich bei. Dies war auch bei der Beziehung zwischen der Schauspielerin Lindsay Lohan und Djane Samantha Ronson zu beobachten, die von den Medien zuerst nicht ernstgenommen und später zur Zielscheibe sämtlicher Gerüchte und Verleumdungen wurde. Solange für Frauen ein starker Zwang besteht heterosexuell zu leben, kann man kaum von sexueller „Fluidität“ und einer freien Wahl sprechen.

Die andere Frage, die die Wissenschaftler beschäftigt ist: Warum reagierten die Frauen körperlich sowohl auf die Bonobo-Pornos als auch auf jegliche andere eindeutig sexuelle Aktivität? Chivers vermutet dahinter eine Art von passiver Bereitwerdung, ein Relikt aus der Natur – das Weibchen empfängt sexuelle Signale und wird im Falle einer Vergewaltigung feucht, damit es keine Verletzungen davonträgt. Auch Frauen, die vergewaltigt worden waren berichteten Chivers über solch ein Phänomen und bestätigten damit diese Theorie.

Außerdem war eine häufig angegebene Phantasie von Frauen, Sex mit einem Fremden zu haben – und viele Frauen berichteten davon beim Sex mit einem Mann nur durch die Vorstellung einer Vergewaltigung zum Orgasmus kommen zu können.

Heterosexualität bei Frauen scheint also mehr eine Art von passiver „Bereitwerdung“ für den Mann zu sein und hat weniger mit einem konkreten Begehren, einer Lust auf den männlichen Körper zu tun. Frauen erregt nur der Gedanke vom Mann begehrt zu werden, sie können ihn aber in den wenigsten Fällen selbst zum Objekt machen.

Wie wertet man nun diese extrem gegensätzlichen Ergebinsse aus? Frauen phantasieren (!) einerseits davon „genommen“ zu werden und andererseits wünschen sie sich doch in Beziehungen eine sinnliche zärtliche und auch aktive Sexualität, die wohl eher auf das Weibliche hin ausgerichtet ist. Man fand außerdem eine starke Verbindung zwischen Mutterliebe und Sexualität, denn in beiden Fällen wird bei Frauen vermehrt das Hormon Oxytocin ausgeschüttet, dessen Grundlage das Östrogensystem ist. Frauen lieben sexuell also anders als Männer, das ist allein durch die Biologie schon so bestimmt.

Die Frau steht an der Schwelle ein Kulturwesen zu werden – da sie jahrtausendelang von Männern unterdrückt wurde ist auch ihre Sexualität noch weitgehend unentwickelt und unerforscht. Sie hat sich bis jetzt nie zu einem vollwertigen Menschen/Kultur-Wesen entwickeln können, da sie immer in der Abhängigkeit zum Mann stand (durch äußerliche Zwänge, die von ihr verinnerlicht wurden) – deswegen übernahm sie auch seine Vorstellung von Sexualität und entwickelte nichts Eigenes.

Man könnte sogar Männer und das Patriarchat noch der Natur zuordnen, da der Mann im Gegensatz zur Frau in seiner Sexualität kein Potential zur Weiterentwicklung hat. Der Mann bleibt als „Vergewaltiger“ in seiner Art gefangen, wogegen die Frau durch die lesbische und Mutter-Liebe die Möglichkeit zum Ausbruch hat. Die Sexualität ist sowohl beim Mann als auch bei der Frau die Triebfeder für Kreativität und kulturelles Schaffen. Die Vorstellung von der heterosexuellen romantischen Liebe gibt es erst seit ca. 250 Jahren. Die eigenständige Liebe zwischen Frauen ist etwas Neues und kann den Grundstein zu einer neuen frauenidentifizierten Kultur bilden.

Links zu diesem Thema: