Wann ist eine Frau lesbisch, bin ich lesbisch oder nicht und ab wann fängt das Lesbischsein überhaupt an? Erst wenn ich mich mit einer Frau sexuell einlasse, oder schon lange davor, wenn ich mich zu ihr hingezogen fühle, sie schätzte, ihre Art, ihre Seele und auch ihren Körper, viel mit ihr zusammen sein will, die Augen, das Haar und auch den Geruch begehre. Und wenn ja, was suche ich in der anderen Frau, eine Mutter oder eine nie gehabte Tochter, will ich sie als Geliebte, Freundin und Gefährtin oder mich mit ihr nur zwischendurch von den schlechten Erfahrungen, die ich mit Männern gemacht habe erholen? Wie definiere ich mich selbst, hetero, lesbisch, bi, und stimmen diese Selbstwahrnehmungen mit meinen gelebten Erfahrungen überein, was erzähle ich anderen – und was nur mir ganz alleine.

Wenn sich eine Frau als lesbisch erkennt, sucht sie meistens nach Möglichkeit Gleichgesinnte zu finden, die sie in ihrer Lebenswirklichkeit bestätigen. Es gibt das Nachtleben, kulturelle Treffpunkte und auch zahlreiche Internetplattformen. Sie wird sich dort umschauen und wird häufig eine Szenerie mit fest gefügten Regeln und Lebensideologien vorfinden. Sie wird sie akzeptieren oder auch nicht, wird sich anpassen, ihre Kleidung, ihr ganzes Äußeres und Inneres danach ausrichten, sie wird selbst zur Szene werden. Bitte erkenne mich als Lesbe, ich gehöre keinem Mann mehr und will auch nicht mehr von ihm begehrt werden. Sie will frei sein auf Kosten ihres Frauseins.

Vielleicht wird sie aber auch nach dem ersten Besuch entsetzt einen Rückzieher machen und denken, nein, das bin ich nicht, so sehe ich nicht aus, fühle, empfinde und will ich nicht sein. Sie wird sich in dem ganzen Umfeld nicht wiedererkennen und von sich vermuten, dass sie doch hetero sei, oder zumindest bi, nein, lesbisch aber auf gar keine Fall. Männern gehört ihr Alltag, ihr Leben und außerdem will sie als Frau noch erkennbar bleiben. Und Kinder kriegen will sie auch, irgendwann.

Wohlmöglich ist sie gar so unbewusst, dass sie ihre Verliebtheiten in Frauen als Freundschaften definiert, die Grenzen können schmal sein, sie will bemuttert werden oder selbst bemuttern, aber auf keinen Fall sexuell begehren. Denn ihr Körper und der Sex, der gehört dem Mann alleine. Sie wird sich in romantische Freundschaften und Esoterik hineinsteigern, oder gar neurotisch hin und her schwenken. (Der Alkohol tut dann sein Übriges). Und je höher ihr Bildungsgrad, desto schwerer wird es ihr fallen aus den vorgegebenen Konventionen der Heterosexualität auszubrechen. Sie hat mehr zu verlieren, ist womöglich gut verheiratet und gesellschaftlich bestens integriert. Und sie glaubt an all das, was ihr die ganze Bildung vermittelt hat, hat viel gelesen, aber wenig oder gar nichts von/über das Begehren von Frauen, sie vertraut nicht mehr auf ihre eigenen Wahrnehmungen und Gefühle. Sie ist dressiert.

Die Internetforen sind voll von Beiträgen von Frauen, die alle nicht so wirklich unter dem „Label lesbisch“ laufen. Von: „Hilfe, ich bin 40 und schon über 10 Jahre in meine beste Freundin verliebt (aber wir kriegen es irgendwie nicht hin)“, über „bin in meine Lehrerin verknallt, wem geht es auch so?“ zu „Liebe meine Schülerin – mag nur ältere Frauen- lieben meinen Mann, aber auch sie, bin ich nun bi?“ und so weiter und so fort. Einerseits kann sie sich Frauen in die Arme werfen, weil sie von Männern enttäuscht worden ist (oder vergewaltigt, missbraucht) sie kann von ihnen aber enttäuscht sein, weil sie in ihnen eigentlich eine Frau sucht. Viele (latent) lesbische Frauen suchen sich oft unbewusst Männer aus, die im Laufe ihres Lebens schwul werden oder ebenso latent Männer begehren. (Und dieses entweder in der Kunst sublimieren, oder sich eben ganz konkret  Stricher oder Transen (=männliche Nutten) kaufen.) Lesbisches Begehren/Liebe spielt sich also oft in Grenzbereichen ab, da die Unterscheidungen zwischen Neigung, Verzicht und der puren Beugung vor den Konventionen fließend schmal sind. Was ist lesbisch, wo fängt es an und wo hört es auf? Frauen lernen immer noch nicht sich und ihre Wünsche/Bedürfnisse genügend wahr- und ernst zu nehmen. Sie lassen andere für sich denken. (Männer entdecken ihre Homosexualität zumeist recht früh und werden darin auch ernst genommen, denn ja- auch das „eines auf die Fresse kriegen“ gehört zum ernst nehmen!)

Ein schwieriges Thema also, dem man sich nur Schritt für Schritt annähern kann, es von verschiedenen Seiten aus beleuchten, und manchmal kann dieses auch mit literarischen Mitteln geschehen, (show don´t tell). Eine Geschichte erfasst die Realität unmittelbarer und lässt auch die Widersprüche nebeneinander bestehen, sie wertet weniger, lässt mehr Raum für eigene Überlegungen offen.
Wir haben hier daher drei ganz unterschiedliche Erzählungen reingestellt, die erste stammt von Djuna Barnes und ist aus den 20er Jahren des vorherigen Jahrhunderts, die zweite spielt ca. 1995, die dritte 2005. Verschiedene Zeiten, ähnliche Thematiken.