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Gestern habe ich Gerda Lerners Buch „Die Entstehung des Patriarchats“ zu ende gelesen, und bin begeistert, vor allem weil es mir noch mal erklärt hat, wie tief die sexuelle Unfreiheit (Sexualität bestehend aus den sexuellen und fortpflanzungsrelevanten Fähigkeiten) der Frauen in der Geschichte verankert ist. Und wie eng dieses an ihren sozialen Status und die soziale Absicherung geknüpft war und in vielen Teilen der Welt noch ist. Und auch hier noch, zumindest in den Köpfen vieler Frauen, und leider oft auch in der Realität, da Männer immer noch die besseren Kontakte, Netzwerke und Jobs haben, mehr verdienen und Kinder und Vollzeitarbeit nicht gerade leicht zu vereinbaren sind. Der (meist nur unbewusst wahrgenommene) Druck Männer sexuelle nicht völlig aus seinem Leben ausschließen zu dürfen/ihnen den Zugang zum eigenen Körper nicht zu verwehren (als ob sie generell ein Recht darauf hätten), äußert sich z.B. darin, dass viele Frauen lesbisch nur als jugendliche Phase sehen oder weibliche Hollywoods Stars sich zwanghaft als bi bezeichnen ect. Und auch wenn sich gesellschaftlich vieles getan hat, katapultiert man sich- wenn als über 30 jährige Frau die ganze hetero- und bi- Spielchen nicht mitmacht – immer noch viel zu oft ins gesellschaftliche Abseits. Denn wie gesagt: die meisten Kontakte laufen über Männer, die (als unausgesprochene Gegenleistung) oft sexuelle Verfügbarkeit von einem erwarten, und wenn man als Frau äußerlich nicht gerade der „Kumpeltyp“ ist und man auf dieser Schiene fahren kann, ist es dann sehr schnell aus mit der „Freundschaft“. Wie das historisch alles entstanden ist, diese Verquickung von Sex und Status (und noch vieles mehr), analysiert Gerda Weiler in ihrem 1989 erschienenen Buch sehr eindrücklich. Die oberen Zitate sind aus dem Buch und der Text stammt von einem Emma Artikel aus dem Jahre 1992:
Seit ihren Anfängen in der Sklaverei nahm die Klassenherrschaft für versklavte Männer und Frauen unterschiedliche Formen an: Männer wurden überwiegend als Arbeitskräfte ausgebeutet, Frauen wurden immer sowohl als Arbeitskräfte ausgebeutet wie auch durch die Inanspruchnahme sexueller Dienste und bei der Fortpflanzung. Die Geschichte einer jeden Sklavenhaltergesellschaft bietet Belege für diese allgemeine Feststellung. Die sexuelle Ausbeutung von Frauen aus der Unterschicht durch Männer der Oberschicht hat es gegeben im Altertum, während des Feudalismus wie auch in den Haushalten des europäischen Bürgertums im 19. Und 20. Jahrhundert, in den komplexen Geschlechts- und Rassenbeziehungen zwischen Frauen aus kolonisierten Ländern und männlichen Kolonisatoren – es gibt sie überall und durchgängig. Für Frauen ist die sexuelle Ausbeutung geradezu ein spezielles Merkmal der Klassenausbeutung. In jedem beliebigen Moment der Geschichte besteht jede „Klasse“ aus zwei verschiedenen Klassen – Männern und Frauen.
Die Klassenposition von Frauen wurde im allgemeinen und jeweils aktuell bestimmt durch ihre sexuellen Beziehungen. Sie ließ sich immer ausdrücken als ein Grad der Unfreiheit auf einem breiten Spektrum: Dieses reichte von der Sklavin, deren sexuellen und fortpflanzungsrelevanten Fähigkeiten ebenso zur Ware verdinglicht wurden wie sie selbst, zur Sklavin-Konkubine, deren sexuellen Leistungen ihren eigenen Status oder den ihrer Kinder verbessern konnte, zur „freien“ Ehefrau, deren sexuelle und fortpflanzungsrelevante Dienste gegenüber einem einzigen Mann der Oberschicht ihr einen Anspruch auf Eigentum und gesetzlich abgesicherte Rechte verschaffte. Während jede diese Gruppe sehr unterschiedliche Verpflichtungen und Privilegien in Bezug auf Eigentum, Gesetzt und wirtschaftliche Voraussetzungen hatte, teilten sie alle die Unfreiheit, sexuell und hinsichtlich der Fortpflanzung von Männer kontrolliert zu werden.
Frauengeschichte: Die Entstehung des Patriarchats
Die weibliche Geschichtslosigkeit gehört zum patriarchalen Grundsatzprogramm, hat Tradition. Mit dieser Tradition bricht jetzt die amerikanische Historikerin Gerda Lerner. Umfassend. Sie ging bis an den Anfang der Menschheitsgeschichte und schrieb – die Geschichte der Frauen.
Als Hunderttausende von Frauen Anfang der 70er Jahre auf die Straße gingen, um für ihr Selbstbestimmungsrecht zu demonstrieren, wussten die meisten von ihnen nicht, dass sie die zweite Frauenbewegung waren. Noch nie hatten sie von Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann oder Hedwig Dohm gehört, die um die Jahrhundertwende für das Frauenwahlrecht gekämpft hatten.
Und die jungen Frauen heute? Die sich wieder in Strapse und Stöckelschuhe zwängen lassen? Sie scheinen oft von der zweiten Frauenbewegung nichts zu wissen. Obwohl sie lesen und schreiben können, haben sie ihre eigene Geschichte vergessen. Zufall? Nein, dahinter steckt System. Die Bücher, die Feministinnen schreiben, die Theorien, die sie bilden, die Erkenntnisse, die sie gewinnen, dringen selten in die breite Öffentlichkeit vor – und wenn, werden sie sogleich verdreht oder verschüttet. Die weibliche Geschichtslosigkeit gehört zum patriarchalen Grundsatzprogramm, hat Tradition.
Mit dieser Tradition bricht jetzt die amerikanische Historikerin Gerda Lerner. Umfassend. Sie ging bis an den Anfang der Menschheitsgeschichte und schrieb – die Geschichte der Frauen. Denn: „Frauenemanzipation ist ohne genaue Kenntnis der Frauengeschichte nicht möglich.“ Die Witwe, zweifache Mutter und österreichische Jüdin, die 1939 vor den Nazis nach Amerika floh, hat erkannt: „Die Unterordnung von Frauen, die Gründe für die Mitwirkung von Frauen am Prozeß ihrer Unterordnung, aber auch die Bedingungen ihrer Opposition“ werde erst „durch die besondere Beziehung der Frauen zur Geschichte“ verständlich.
Eigentlich hatte „die Pionierin auf dem Gebiet der historischen Frauenforschung“ (New York Times) eine „allgemeine Theorie über die Frau in der Geschichte“ verfassen wollen. Dann aber vertiefte sie sich in Zeugnisse aus dem Zweistromland, dem alten Mesopotamien (und heutigen Irak) und entdeckte Unerhörtes: nämlich „Die Entstehung des Patriarchats“.
Eine grundlegende Analyse vor allem juristischer Quellen, die im vierten Jahrtausend vor Christus beginnt und im vierten Jahrhundert vor Christus endet. Es ist die erste feministische Analyse dieser Quellen überhaupt. Wie Simone de Beauvoir im „Anderen Geschlecht“ geht Lerner davon aus, daß es in vorgeschichtlicher Zeit nie ein goldenes Zeitalter für Frauen gegeben hat, nie ein wirkliches Matriarchat, also keine Umkehrung der Verhältnisse, keine Herrschaft von Frauen über Männer.
Allerdings glaubt sie an eine relative Gleichwertigkeit am Anfang der Menschheitsgeschichte, in dem Männer und Frauen ihr gemeinsames Leben zwar arbeitsteilig organisierten – die Männer als Jäger, die Frauen als Mütter und Sammlerinnen – aber herrschaftsfrei (für diese vorgeschichtliche Zeit kann man nur von „Glauben“ sprechen, da es keine Schriftzeugnisse gibt).
Der Griff der Männer nach der Macht beruht nicht auf einem einzigen Ereignis. „Die Periode der Durchsetzung des Patriarchats war ein Prozeß“, schreibt Gerda Lerner, „der sich in einem Zeitraum von etwa 2500 Jahren, ungefähr von 3100 bis 600 vor Christus vollzogen hat.“ Die Schritte, die zur Unterwerfung der Frauen führten und damit auch zu ihrer Tilgung aus der Geschichte:
DER HAUPTWIDERSPRUCH. Friedrich Engels und nach ihm alle Marxistinnen behaupten, dass die „weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts“ eine Folge der Entstehung des Privateigentums sei. Der berühmte Nebenwiderspruch, aus dem folgert: Wenn das Privateigentum abgeschafft ist, also die ökonomische Ungleichheit, resultiert daraus automatisch auch die Gleichheit der Geschlechter.
Lerner setzt dem entgegen: „Die Aneignung der sexuellen und reproduktiven Kapazität der Frauen durch die Männer“ geschah vorher. Grund: der Frauenmangel, unter denen einige Stämme litten. Konsequenz: der „Frauentausch“, also der Tausch von Frauen gegen Früchte, Handwerkszeug oder Tierhäute. Auch die gewaltsame Verschleppung von Frauen faßt Lerner unter den Begriff „Frauentausch“. Die Sexualität der Frau und ihr Vermögen, Kinder zu gebären, wird früh zur Ware. Die Degradierung der Frau zum Objekt und zur Gebärmaschine ist das Fundament des Patriarchats – und der Klassengesellschaft.
DIE SKLAVINNEN. Bei Kämpfen zwischen den Stämmen wurden die Männer auf der Stelle von den Siegern getötet, denn, so Lerner, ihre Arbeitsutensilien für die Feldarbeit waren fast identisch mit den Waffen – und das war den Siegern zu gefährlich. Die gebärfähigen Frauen aber wurden „nur“ verschleppt und vergewaltigt. Die ersten Menschen, die versklavt wurden, waren demnach Frauen.
Lerner: „Wie es möglich ist, andere Menschen zu beherrschen und eine Hierarchie zu festigen, das lernten die Männer durch die bereits praktizierte Dominanz über die Frauen in ihrer eigenen Gemeinschaft.“ Die Sklavenhaltergesellschaft als „die erste institutionalisierte Form hierarchischer Dominanz in der Geschichte der Menschheit“ wurde auf dem Rücken von Frauen errichtet.
DIE SEXUALITÄT. Waren die vergewaltigten Sklavinnen schwanger, „konnten sie psychologisch gebunden werden“: Hieraus leitet sich die Institution des Konkubinats ab. Und damit auch die Prostitution. In Babylonien finden sich bereits 3000 Jahre vor Christus erste Formen von Zuhälterei: Die Herren vermieteten ihre Konkubinen-Sklavinnen und die Mütter ihrer unehelichen Kinder für Geld an andere Herren. In China ließen vom 3. Jahrtausend vor Christus bis ins 20. Jahrhundert hinein arme Eltern ihre Töchter von reichen Herren „adoptieren“. Eine Praxis, die mit der im heutigen Thailand zu vergleichen ist, wo westliche Sextouristen sich die minderjährigen Töchter armer Bauern als Urlaubshostessen kaufen. Sie „pflegen“ damit eine 5000 Jahre alte Tradition.
Die Anpassung von Frauen an dieses Unterdrückungssystem wurde in den archaischen Staaten zwischen Euphrat und Tigris durch körperliche Gewalt und ökonomische Abhängigkeit erzwungen. Und durch Spaltung. Für besonders anpassungswillige „Mittäterinnen“ gab es ein ausgefeiltes Belohnungssystem.
Das Konkubinat bot Männern die Möglichkeit, Frauen gegeneinander auszuspielen. Die Ehefrau wurde mit Privilegien ausgestattet, hatte Teil an der Macht des Mannes, nahm dafür den Ehebruch ihres Mannes in Kauf sowie ihre eigene Unterdrückung und half ihm zudem dabei, die Sklavinnen zu unterwerfen. Beide, Herrin und Sklavin, hatten den Männern mit Leib und Seele zur Verfügung zu stehen: die Herrin ihrem Herren, die Sklavin allen Herren.
DAS GESETZ. Als nächstes machten die Patriarchen die sexuelle Ausbeutung von Frauen zum Gesetz. Der Rechtscodex des Hammurabi, der etwa 1760 vor Christus in eine Dorit-Stele eingemeißelt wurde, legte die Verpflichtung des Ehemannes zum Unterhalt seiner Frau fest. Die ökonomische Abhängigkeit der Frauen von ihren Männern wird damit erstmals zum „Rechtsgut“.
Ehefrauen waren zur absoluten Treue verpflichtet; Ehemännern hingegen war der Ehebruch mit Sklavinnen und Dirnen ausdrücklich erlaubt. Die Jungfräulichkeit der Braut war unumstößliche Voraussetzung für eine Eheschließung. Vergewaltigung war ein Unrecht. Als Opfer galt aber nicht die vergewaltigte Frau; der Mann und männliche Verwandte wurden als Geschädigte betrachtet.
Ein Inzest zwischen Mutter und Sohn hatte für beide die Todesstrafe zur Folge. Ein Vater, der seiner Tochter Gewalt antat, wurde lediglich aus der Stadt verbannt. Nicht anders halten es heute die islamischen „Gottesstaaten“. Lerner: „Die Kontrolle der weiblichen Sexualität, die zuvor dem einzelnen Ehemann oder dem Familienoberhaupt oblag, wurde nun zu einer staatlich reglementierten Angelegenheit.“
DER SCHLEIER. Der nächste Schritt zur Konsolidierung der männlichen Macht über Frauen ist der Verschleierungszwang, der im mittelassyrischen Recht (ca. 1250 vor Christus) verankert wird. Auch er spaltet die Frauen, in gute und schlechte. In Paragraf 40 heißt es: „Sowohl Gattinnen eines Bürgers als auch Witwen oder assyrische Frauen, die auf die Straße hinausgehen, dürfen ihre Köpfe nicht entblößen. Aber diejenige, die ein Gatte nicht genommen hat, wird auf der Straße einen Kopf entblößt halten. Sie wird nicht verhüllt sein. Eine Dirne wird nicht verhüllt sein.“
Die Verschleierung der ehrbaren Frau verfolgt zwei Zwecke: Zum einen hat die Unterscheidung zwischen respektablen und nicht respektablen Frauen aufgrund ihrer „sexuellen Aktivitäten“ nun Gesetzeskraft und trägt verstärkt zur Entsolidarisierung bei; zum anderen entzieht sie die Ehefrau dem öffentlichen Raum. Sie ist nur noch dem Privatbereich zugeordnet; sie ist einzig Besitz ihres Mannes. Die unverhüllte Frau hingegen ist Besitz aller Männer. Bei Verstoß gegen die Kleiderordnung droht der Frau Bestrafung: Ihr kontrolle und Abtreibung – ist die Kontrolle der weiblichen Sexualität ein wesentlicher Faktor der Machtausübung. Die Reglementierung des sexuellen Verhaltens der Frauen ist eines der Fundamente des Staates.“
DIE RELIGION. Der Unterbau steht. Nun kommt die Historikerin zum Überbau, zur Ideologie, zu den Bildern und Symbolen, zum abstrakten Denken. Die Ungleichheit der Frauen ist gesetzlich festgeschrieben, aber sie sind immer noch Priesterinnen in den archaischen Staaten des Zweistromlandes. Und auch die Göttinnen sind nicht entthront. Die „wesenseigene Gleichheit“ der Frauen, schreibt Gerda Lerner, konnte aus ihrem „Denken und Fühlen nicht verbannt werden, solange die Göttinnen existierten“.
Die Göttinnen haben im Zweistromland vor allem Macht über die Fruchtbarkeit. Als das Königtum erstarkt, versuchen die Monarchen, diese Macht zu brechen, indem sie sich selbst zu Gottheiten befördern und sich mit den Priesterinnen der Göttinnen vermählen.
Als nächstes werden in der Götterwelt Griechenlands zum Beispiel Erotik und Fruchtbarkeit voneinander getrennt. Für jedes von beiden ist nun eine eigene Göttin zuständig: Aphrodite für die Erotik, Demeter für die Fruchtbarkeit der Pflanzen und Hera für die der Frauen. Die Macht der Hera wird zusätzlich eingeschränkt, weil sie dem Chefgott Zeus als Gattin unterstellt ist.
Der Monotheismus von Juden und Christen schließlich macht endgültig Schluss mit der weiblichen Göttlichkeit (und damit auch Gleichheit). Lerner: „Im ersten Buch Moses, der Genesis, werden Schöpferkraft und Fruchtbarkeit einem allmächtigen Gott zugeschrieben: Die weibliche Sexualität wird assoziiert mit Sünde und Übel. Der einzige Zugang zu Gott und der Gemeinschaft der Heiligen ist den Frauen in ihrer Eigenschaft als Mutter möglich.“
DAS DENKEN. Schließlich und endlich wird „die Unterordnung der Frauen als natürlich festgeschrieben und damit der bewussten Wahrnehmung entrückt“. Monotheismus, abstraktes Denken und psychologische Manipulation sind die subtilen Instrumente, die die krude Gewaltherrschaft absichern. dass Frauen sich selbst als von Natur aus minderwertige Wesen begreifen, die nur durch männliche Wertschätzung aufgewertet werden können, ist der raffinierteste Trick, der „das Patriarchat sowohl tatsächlich wie ideologisch fest absichert“.