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Carl von Westphal, Havelock Ellis, Richard von Krafft-Ebing, Sexual Inversion
Begleitend zu meiner Butch-Femme-Reihe möchte ich hier den ersten Teil eines Textes von Lillian Faderman draufstellen, der sich mit der Konstruktion und zugleich Pathologisierung der homosexuellen Identität durch die Sexualwissenschaftler des 19. Jahrhunderts beschäftigt. Sprich: Homo, also schwul-lesbisch als eigenen Identität, also Lebensform, gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert, davor musste jeder Mann (und erst recht jede Frau!) heiraten und Kinder, bzw. entweder „Kanonenfutter“ für Kriege, Arbeiter für die kapitalistische Massenproduktion/Geldvermehrung oder eben männliche Erben zeugen/gebären- und das gleichgeschlechtliche Begehren wurde- entweder versteckt in romantischen Freundschaften- oder neben der Ehe ausgelebt: Männer trafen sich z. B. heimlich in Parks, Tavernen oder Badehäusern vor der Stadt; Frauen vergnügten sich vielleicht in polygamen Ehen mit den anderen Ehefrauen, in Harems oder in Bordellen … Die christliche Kirche hatte alle sexuellen Handlungen, die nicht der Fortpflanzung dienten als „Sodomie“ gebrandmarkt, doch am meisten hat sich ihre Verfolgung auf schwule/sodomistische Männer- sprich Männer, die sich von anderen Männern wie eine Frau „passiv ficken“ ließen- konzentriert. Frauen wurden erst der Sodomie verdächtigt, wenn ihnen eine vergrößerte Klitoris oder der Gebrauch eines Dildos/künstlichen Penis nachgewiesen werden konnte … IT´S A MANS´S WORLD….
Der Beitrag der Sexualforscher
Der deutsche Psychiater Carl von Westphal veröffentlichte 1869 eine Fallstudie über eine junge Frau, die sich seit ihrer Kindheit lieber als Knabe anzog und sich an den Spielen der Knaben beteiligte. Und genau wie die Transvestitinnen des 18. Jahrhunderts, von Henrica Schuria, die öffentlich ausgepeitscht wurden, bis zu Deborah Sampson, die eine staatliche Rente erhielt, fühlte sie sich zu Frauen hingezogen. Westphal bezeichnete sie als „kongenital Invertierte“ (Individuum mit konträrer Sexualempfindung), deren Abnormität nicht erworben und dem Wunsch entsprungen, dem langweiligen, passiven Frauenschicksal zu entgehen, sondern vielmehr ein Ergebnis einer ererbten Entartung und Neurose war. Sie wurde zu einem neuen Typus gemacht, und in der Folge überfluteten Ärzte die medizinischen Zeitschriften mit Abhandlungen über solche Frauen.
Westphals Studie erschien zu einem interessanten Zeitpunkt: Wie wir gesehen haben, wurden Frauen, die Ausbildung und Berufschancen forderten, bereits um 1830 als „geschlechtslos“ und „Halb-Frauen“ bezeichnet, und je mehr Freiheiten die Frauen erlangten, desto größer wurde die sogenannte Sorge um den Verlust der Geschlechtsunterschiede. Westphals Artikel wurde nicht nur in medizinischen Zeitschriften internationale Aufmerksamkeit zuteil, er beeinflusste auch die Literatur und das Leben der Menschen. Bestechend wie diese Studie war, erschien sie zu „erklären“, warum es gewisse Frauen nach Unabhängigkeit von den Männern drängte. Während aber dieser Artikel nicht die Breitenwirkung hatte, um einen starken Einfluss auf die Ansichten der Menschen auszuüben, hatten das die Arbeiten jener, sie sich von ihm inspirieren ließen. Ob dies ein bewusster Prozess war oder nicht: Wer der wachsenden Unabhängigkeit de Frauen feindliche gesinnt war, konnte jetzt mit namhafter Unterstützung die Frauen, welche die Gleichberechtigung wollten, der Entartung beschuldigen um sie, mit der Furcht vor Abnormalität im Herzen, zurück an den Herd zu drängen. Eine Lesbierin war, laut Definition der Sexualforscher, eine, die die traditionelle Frauenrolle ablehnte. Ihr war diese Rolle zuwider, weil sie gar keine Frau war – sie war eine Vertreterin des dritten Geschlechts. Und also repräsentierte sie nicht die wirkliche Frau, ihre Gefühle waren invertiert, auf den Kopf gestellt: anstatt passiv zu sein, war sie aktiv; anstatt Häuslichkeit zu lieben, strebte sie nach Erfolg in der Öffentlichkeit; anstatt dem Mann den ersten Platz in ihrem Leben zu geben, gab sie diesen Platz sich und anderen Frauen. Sie liebte das weibliche Geschlecht mehr als das männliche. Die Liebe zwischen Frauen war jahrhundertelang ermutigt und toleriert worden – jetzt aber, da die Frauen wirtschaftlich unabhängig sein konnten, war solche Liebe eine potenzielle Gefahr für das soziale Gefüge geworden. Was wäre, wenn die Frauen in ihrem Streben nach Unabhängigkeit die Männer aus ihrem Leben ausschlossen und Trost gegen die Einsamkeit fanden, indem sie das, was „während der Mädchenjahre als Probe des großen Dramas im Leben eine Frau“ gedacht war, zum eigentlichen Drama ihres Lebens machten? Liebe zwischen Frauen wurde zur Groteske erklärt, und es wurde behauptet, dass sowieso nur eine Abnormale ihren untergeordneten Status verändern wolle. Mit Hilfe der Theorien der Sexualwissenschaftler wurde zu beweisen versucht, dass eine feministischen Haltung und Liebe zu anderen Frauen anormal und eng miteinander verknüpft waren.
Dass die Frauenbewegung des Lesbianismus beschuldigt wurde, konnte zwar den Fortschritt der Feministinnen in den letzten hundert Jahren nicht aufhalten, jedoch beträchtlich bremsen. Mit dem Argument, dass das Verlangen etwas zu erreichen, die Abnormität und Unweiblichkeit eine Frau beweisen, sind auch Frauen in unserem Jahrhundert häufig davon abgehalten worden, ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Als in den 60er Jahren (also 1960) die feministische Bewegung wiederauflebte, versuchten die Gegner und Gegenerinnen sie im Keim zu ersticken, indem sie die Frauen auf die falsche Fährte lockten: Nur Lesben nehmen an solchen Bewegungen teil. Falls du keine Lesbe bist, lass bloß die Finger davon … Oder bist du etwa eine Lesbe? Sicher hielt diese Argumentation Frauen von der Frauenbewegung fern. Sogar Betty Friedan, die Gründerin der National Organisation for Women, befürchtete, dass der Lesbianismus oder vielmehr: die Verdächtigungen der Öffentlichkeit, die Frauenbewegung zerstören könnte. Friedan gab sich große Mühe zu leugnen, dass die Frauenbewegung zum großen Teil aus Frauen bestand, die Frauen liebten. Dem wurde ein Ende gesetzt, als Feministinnen den umstrittenen Sachverhalt mit der Erklärung entschärften, dass es in Ordnung sei, Frauen zu lieben, und wieder ihre Forderungen nach besseren Arbeitsangeboten und Gesetzen aufnahmen.
Die zwei einflussreichsten Schüler von Westphal waren Richard von Krafft-Ebing (linkes Bild, 1840 -1902, deutsch-österreichischer Psychiater und Rechtsmediziner, Psychopathia Sexualis, 1882) und Havelock Ellis (rechtes Bild, 1859-1939, britischer Sexualforscher, Studies in the Psychology of Sex: Sexual Inversion, 1897). Beide Autoren zeichneten ein krankhaftes Bild der Frauenliebe und assoziierten sie mit Verhaltensweisen, die nichts mit gleichgeschlechtlicher Liebe, umso mehr aber mit der Geisteskrankheit einiger Patientinnen zu tun hatten, die sie untersuchten (die Psychotikerinnen dieser Fallstudien interessierten sich in erster Linie für Frauen, so wie sie sich in anderen Studien primär für Männer interessieren). So begann Ellis seine Abhandlung über weibliche Homosexualität im 19. Jahrhundert (im Kapitel Sexuelle Inversion bei Frauen) mit der Geschichte der Alice Mitchell, für ihn eine „typische Invertierte“, die ihrer Geliebten „die Kehle durchschnitt“. Dieser Geschichte folgten zwei weitere Fälle von Mord und Mordversuch unter Lesbierinnen. Anschließend stellte er fest, dass „homosexuelle Beziehungen unter Frauen mit ein Grund zum Selbstmord sind“ – und implizierte damit, dass dies bei heterosexuellen Beziehungen nicht der Fall sei. Ellis wiederholte zwar in seiner Studie, dass viele begabte Menschen homosexuell gewesen sind und dass Homosexualität nicht unbedingt krankhaft sein muss – es schein, als stimme er mit Krafft-Ebings Meinung nicht ganz überein -, aber mit der Auswahl seiner Fallgeschichten bringt der die Leserschaft zur gegenteiligen Überzeugung.
Krafft-Ebings Werk, dass Ellis beeinflusste, ging weit über die Studie von Westphal hinaus. Er wies darauf hin, dass Lesbianismus auf „Gehirnrückbildung“ zurückzuführen sei, dass er auf „einen ererbten, krankhaften Zustand des zentralen Nervensystems“ hinweise und ein „funktionales Zeichen von Degeneration“ sei. Diesen ererbten Zustand bezeichnet er durchs Band mit dem Wort „Makel“. Spätere Autoren wie Iwan Bloch, Magnus Hirschfeld und John Addington Symonds gingen darin einig, dass Homosexualität angeboren sei, lehnten hingegen Krafft-Ebinhgs Standpunkt, dass sie krankhaft sein, ab. Havelock Ellis aber übernahm Krafft-Ebings Standpunkt der Krankhaftigkeit, und es war sein Buch über sexuelle Inversion, dass im englischen Sprachraum während Jahren eine der einflussreichsten Studien über Homosexualität blieb. Es waren also in erster Linie die Schriften von Krafft-Ebing und Ellis, die im 20. Jahrhundert seine stereotypen Vorstellungen über die lesbische Krankhaftigkeit hinterließen.
Beide Autoren entwickelten die Kategorie der „echten Invertierten“ (Individuum mit homosexuellen Neigungen) und unterschieden sie von vorpubertärem homosexuellem Verhalten und der Faute-de-miex-Homosexualität. Laut Ellis bestand der Hauptunterschied zwischen normalen Frauen und „echten Invertierten“ darin, dass normale Frauen, sobald sie Gelegenheit haben, mit Männern Beziehungen zu haben, ihre „normalen Instinkte … ins ewige Spiel bringen werden“.
Ellis und seine Vorgänger ließen üblicherweise die Rolle, die der gesellschaftliche Druck in die Erzeugung dieser „normalen Instinkte“ spielt, unbeachtet; hie und da, ohne jedoch den Gedanken zu Ende zu führen, wies Ellis darauf hin, dass Sozialisation und Gruppendruck beziehungsweise Unterstützung irgendwie mit den Gefühlen verknüpft waren, welche die Frau im 19. Jahrhundert letztlich als die eigenen empfand. Über jene Frauen, die sich in der Schulzeit regelmäßig in Klassenkameradinnen verliebt hatten, später jedoch heirateten, meinte Ellis, dass sie, sobald sie im „praktischen Leben“ standen, „die wahre Natur solcher Gefühle“ verstehen und im nachhinein auch „mit Abscheu zu betrachten“ und eine Neigung für Männer und die Ehe zu entwickeln lernten. Es ist jedoch klar, dass die Frauen im 19. Jahrhundert allein schon aus ökonomischen Gründen zu einer Ehe gezwungen waren; als gegen Ende des Jahrhunderts Frauen für sich selbst aufkommen konnten und nicht mehr heiraten mussten, mussten sie von der Welt erfahren, dass es pervers war („die wahre Natur solcher Gefühle“), eine andere Frau zu lieben, und lernen, solche Empfindungen zu unterdrücken.
Ellis überging die Bedeutung und „Normalität“ der romantischen Freundschaft, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Ellis aufwuchs, in England gesellschaftlich immer noch akzeptiert war. Was er jedoch sehr wohl begriff, war der Zusammenhang zwischen Feminismus und Frauenliebe. Er behauptete von sich, für die Rechte der Frauen einzutreten, seine Haltung war aber im besten Fall ambivalent: Die Frauenbewegung hat „eine Zunahme weiblicher Kriminalität und Geisteskrankheit mit sich gebracht … Im Zusammenhang damit kann es uns kaum überraschen, eine Zunahme der Homosexualität zu konstatieren, die immer als verwandtes, wenn nicht sogar gleiches Phänomen angesehen wurde“.
Die Frauenbewegung lehrte die Frauen, unabhängig zu sein und die „alte Theorie“ zu verachten, „welche die Frauen in ihrem Haus, einem festungsähnlichen Hof festhielt, wo sie nach einem Mann schmachteten, der nie kam“. Unabhängigkeit führt aber laut Ellis häufig zu homosexuellem Verhalten, insbesondere wenn Frauen arbeiten und bei der Arbeit mit gleichgesinnten Frauen in Kontakt kommen und „Liebe finden wo sie Arbeit finden“. Eine Frau, die über den Feminismus homosexuell werde, sei, so Ellis, mit ziemlicher Sicherheit keine wirkliche Lesbierin, sondern bloß eine „Kopie“, außer sie sei mit dem „Keim“ der Inversion zur Welt gekommen. In diesem Fall also „fördere“ die Frauenbewegung eine „ererbte Nervenkrankheit“. Auch bezeichnete er berufstätige und Mittelschichtsfrauen (und widerspricht seinem früheren Standpunkt des gewalttätigen, lesbischen Unterschichtsmillieus) als am meisten empfänglich für die Inversion, mindestens zehn Prozent von ihnen seien „anormal“, so seine Schätzung.
Was unterscheidet die „Kopie“ von der „echten Invertierten“? Seine Fallgeschichten schaffen ihm die nötigen Kriterien: Ein Phänomen taucht bei fast allen „echten Invertierten“ auf – die Tendenz dieser Frauen, in ihrer Mädchenzeit für andere weibliche Wesen zu schwärmen. Ein zweites Phänomen, dass in all seinen Fallgeschichten vorkommt, ist der angeborene Makel:
Fall XXIX, Miss S.: „…Sie gehören zu einer Familie mit einem auffälligen nervenkranken Element.“
Fall XL, Miss M.: „… In meiner Familie ist ein neurotisches Element vorhanden.“
Fall XLI, Miss B.: „… Eines ihrer Geschwister ist neurotisch veranlagt und eines invertiert.“
Fall XLII, Miss H.: „… Unter den Verwandten mütterlicherseits besteht ein Hang zur Überspanntheit und Nervenkrankheit.“
Es scheint, dass Ellis mit seinem Beharren auf dem angeborenen Makel der homosexuellen Frauen und Männer den gesunden Menschenverstand seines vermeintlichen Kollaborateurs, John Addington Symonds, übersah, de nämlich darauf hinwies, dass es zu der Zeit in Europa sehr wahrscheinlich keinen einzigen Menschen gab, der nicht irgendeinen nervenkranken Makel geerbt hätte. Darüber hinaus schein Ellis auch seine eigene Beobachtung vergessen zu haben, dass „normale“ Mädchen häufig gleichgeschlechtlichen Schwärmereien und erotischen Spielen nachgehen.
Das dritte Phänomen, dass „die aktiv invertierte Frau“ von Frauen mit Schulschwärmereien und Faute-de-mieux-Lesbierinnen unterscheidet, ist „ein mehr oder weniger ausgeprägtes Anzeichen von Männlichkeit“. Wenn Ellis dann aber die körperlichen Charakteristika der Fallsubjekte beschreibt, muss er trotz dieser Behauptung des öfteren Eingestehen, dass „die Form des Körpers im allgemeinen weiblich ist“, oder dass „ihre Person und ihr Verhalten, obwohl nachlässig, nicht auffällig männlich ist“. Diesen Widerspruch erklärt er damit, dass eine gewisse Männlichkeit „auch bloß in der Tatsache bestehen kann, dass sie auf die Frau zugeht, von welcher sie sich angezogen fühlt“. Das widerspricht nun wieder seinen Theorien über die Faute-de-mieux-Homosexualität in Schulen und Gefängnissen, denn das würde bedeuten, dass in jeder gleichgeschlechtlichen Beziehung wenigstens eine der beiden Frauen sehr wahrscheinlich die Wahre ist.
Ellis deutete nie an, dass sie eine „echte Invertierte“ und eine normale Frau darin unterscheiden, dass sich die Invertierte für Geschlechtsverkehr mit anderen Frauen interessiert. Tatsächlich wäre es schwierig, zwischen Miss M. (die Ellis als eine „echte Invertierte“ identifiziert) und einer „romantischen Freundin“ Unterschiede festzustellen. Er zitiert Miss M., die gesagt haben soll: „Ich liebe wenige Menschen … aber in den Fällen, da ich es meinem Herzen erlaube, sich einer Freundin zu öffnen, habe ich immer die erhabensten Gefühle erlebt. Durch dies wurde ich moralisch, geistig und spirituell besser. Liebe ist für mich Religion. Das Wesen meiner Zuneigung für meine Freundinnen schließt aus, dass dabei irgend etwas vorhanden sein könnte, das nicht völlig heilig ist“. Was macht sie also zur Invertierten? Ein Jahr vor ihrem Gespräch mit Ellis fand sie zufällig die Übersetzung eines Buches von Krafft-Ebing. Vor dieser Lektüre hatte sie keine Ahnung, dass ihre Gefühle irgend etwas anderes sein könnten als der Ausdruck ihrer Liebe für einen bestimmten Menschen. Das Buch erst lehrte sie, dass „Gefühle wie meine „widernatürlich und entartet“ und „von der Gesellschaft geächtet“ würden“. Hier stellt sich dann die Frage, wie viele romantische Freundinnen, die sich vorher als vollkommen gesund betrachteten, sich aufgrund der Äußerungen der Sexualforscher plötzlich als etwas Krankhaftes sehen mussten, auch wenn sich ihr Verhalten in keinster Weise verändert hatte.
Obwohl die meisten seiner Fallgeschichten in eine andere Richtung wiesen, versuchte Ellis immer wieder, den Lesbianismus mit weiblichem Transvestismus in Verbindung zu bringen. So bezieht er sich auch zu Beginn des Kapitels Sexuale Inversion in Women auf Frauen des 16. und 17. Jahrhunderts, die, weil sie sich wie Männer kleideten und Dildos benutzen, hingerichtet wurden; dieser Assoziation verleiht seinem Bericht über die Gräfin Sarolta V. (im Anhang seines Buches) noch Nachdruck, wobei er sich auf ein gerichtsmedizinisches Verfahren beruft, das in Friedrichs Blätter für Gerichtliche Medicin veröffentlicht worden war. Das Kapitel Sexual Inversion in Women weist kurz noch den bizarren Fall der Gräfin Sarolta hin und bezeichnet ihn als „in fast jeder Hinsicht repräsentativ“ für die echte Lesbierin. Sarolta stammte aus einer Familie, die immer durch ihre Exzentrizität aufgefallen war. Eine Tante war Hysterikerin und Schlafwandlerin; eine andere Tante „lag wegen einer imaginären, tödlichen Krankheit sieben Jahre lang im Bett“, gab aber gleichzeitig Bälle; eine dritte glaubte, dass die Konsole ihres Wohnzimmers verhext sei; und eine vierte ließ ihr Zimmer zwei Jahre lang nicht reinigen und wusch und kämmte sich in dieser Zeit auch nicht. Ihre Mutter war „nervös und vertrug das Mondlicht nicht“. Die Familie ihres Vaters wurde „allgemein als ziemlich verschroben angesehen“.
Saroltas Vater erzog seine Tochter als Junge und die zwei Söhne als Mädchen. Die Knaben wurden bis zu ihrem fünfzehnten Altersjahr in Mädchenkleider gesteckt. Der Vater unternahm viele Reisen mit der Tochter und verlangte, dass sie sich als Mann kleidete. Bis ins Jahr 1888 – Sarolta war 22 Jahre alt – seien ihre Liebesaffären nur kurze, unbeständige Angelegenheiten gewesen, meint Ellis unterstreichen zu müssen, um das Stereotyp der lesbischen Unbeständigkeit zu wahren; die einzige Ausnahme bildete eine Beziehung, die drei Jahre (!) dauerte. 1888 lernte sie eine Frau kennen, die Sarolta für einen Mann hielt. Im folgenden Jahr wurden die beiden miteinander verheiratet. Sarolta täuschte die Familie ihrer Gattin, indem sie Taschentücher oder Handschuhe in die Taschen ihrer Hose stopfte, um die Ausbuchtung des männlichen Sexualorgans vorzutäuschen, und im Stehen urinierte. Als sie wegen finanzieller Streitigkeiten mit ihrem Schwiegervater verhaftet wurde, war eine ihrer größten Sorgen, im Gefängnis ihre Männerkleidung ablegen zu müssen.
Ellis betonte, dass Sarolta „die Krankhaftigkeit ihrer sexuellen Neigung erkannte“, dass heißt ihre Liebe zu Frauen. Wie die anderen Experten, die sich zu diesem Fall äußerten, folgerte er, das die „Handlungen, die sie zur Kriminellen machten, Folge ihres ausgeprägten und unwiderstehlichen Geschlechtstriebs“ waren. Anhand dieses unglaublichen, für ihn „typischen“ Falles schuf Ellis den Mythos den viele Lesbierinnen übernahmen und entsprechend zu Transvestitinnen und „Butches“ wurden, weil das ipso facto bewies, dass sie die echte Ware waren und somit nicht in heterosexuelle Lebensmuster gedrängt werden konnten.
(Der Text ist ein Ausschnitt aus dem Buch von Lillian Faderman: Köstlicher als die Liebe der Männer. Romantische Freundschaft und Liebe zwischen Frauen von der Renaissance bis heute, Teil II: Das 19. Jahrhundert/der Beitrag der Sexualforscher.)
Fortsetzung folgt…
Texte zum weiterlesen:
-
Sapphistries- global/historische Geschichte der Frauenliebe
-
Romantische Freundschaft und Liebe zwischen Frauen
-
Die homosexuelle Identität
-
Instrumentalisierung von Intersexuellen durch Homosexuelle, Transsexuelle und Feministinnen
Wer Interesse hat, mal einen Blick in die Irrenwerke der Herrn Sexualwissenschaftler zu werfen, der hat hier die Möglichkeit:
Carl von Westphal:
http://www.schwulencity.de/WestphalContraere1869.html
Richard von Krafft-Ebing: Psychopathia Sexualis-mit besonderer Berücksichtigung der Conträren Sexualempfindung (Buch digitalisiert):
https://archive.org/details/sexualinversion00elligoog
Havelock Ellis: Sexual Inversion (Buch digitalisiert):
https://archive.org/details/psychopathiasexu00kraf
Mein persönlicher Eindruck ist- besonders bei der Lektüre von „Taliban“-Krafft-Ebing- in die pervers-kriminellen Fantasien und Träume eines z. B. Hannibal Lecters (Schweigen der Lämmer) gekommen zu sein. ;)