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Das hier ist der zweite Teil des Textes von Sheila Jeffreys über Kesse Väter/Butch und Femme, im dem noch genauer auf die einzelnen Rollen und ihre jeweiligen Vor- und Nachteile eingegangen wird. Und er erklärt zum Schluss auch sehr schön, wie die Theorie entstanden ist, dass das Rollenspiel Butch-Femme angelblich nicht die Heterosexualität (also Mann-Frau) nachmacht, sondern eine authentisch lesbische Interaktion sei, die zwar eine Geschlechterdifferenz aufweist, diese im Schlafzimmer aber keine- bzw. eine andere Hierarchie hat. Aber lest selbst.

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Die Realität des Rollenspiels
Die zeitgenössischen Befürworterinnen des Rollenspiels liefern uns eine romantisierte Version der Lebensform von Rollenträgerinnen in den 50er Jahren. Nach Joan Nestle, einer der Gründerinnen des New Yorker Lesbenarchivs (New Yorker Herstory Archives), war das Rollenspiel eine Form erotischer Vorliebe. Nach den Berichten, die uns zugänglich sind, scheint es nicht so, als ob das Rollenspiel in den 50er Jahren ausdrücklich wegen seiner erotischen Vorzüge gewählt worden sei. Es ist ganz klar, dass sowohl die KV-Rolle wie auch die Femme mit schwerwiegenden Nachteilen verbunden war, die es besonders schwer machen, die gegenwertige Aufwertung dieser Rollen zu verstehen.

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Butches mit Femmes, New Orleans, ca. 1950

Die Femme
Betrachten wir zunächst die Rolle der Femme. Sie scheint innerhalb der Lesbengemeinschaft alle Nachteile erfahren zu haben, mit denen in der heterosexuellen Welt normalerweise die Unterschichtfrauen konfrontiert sind. Der eine war ein niedriger Status, der sich von ihrer schlichten Unwichtigkeit in der Welt der KVs bis zu ihrer Verspottung und Verachtung erstreckte. Nestle erklärt:

Femmes wurden zutiefst verehrt und gleichzeitig entwertet. In den Bars machten ständig Witze übers „Femme-Umlegen“ die Runde, während gleichzeitig ungeheuer viel Energie und Mühe darauf verwendet wurde, den Femmes den Hof zu machen. Wir waren geheimnisvoll und praktisch, richteten ein Zuhause ein und gaben es wieder auf, waren atemberaubend und langweilig zugleich.

In St. Louis, Missouri, war die Rolle des Fisches mit Sicherheit untergeordnet. Die Werteskala ergibt sich schon aus den Bezeichnungen „Kerl“ und „Fisch“. Sawyer (Aus: A Study of a Public Lesbian Community, 1965) erklärt die Hierarchie von Kerl und Fisch so:

Kerle besitzen, weil sie nach ihrer eigenen Einschätzung im Rahmen der Homosexualität das Höchste erreicht haben, innerhalb der Subkultur einen höheren Status als den, der den Fischen zugebilligt wird, die andererseits wieder den Vorzug der Randexistenz genießen.

Nachteile der Randexistenz der Fische war, dass die Forscherinnen Schwierigkeiten hatten, Fische zu interviewen. Die Kerle waren erstaunt, dass sie mit Fischen sprechen wollte. Als sie eine Party arrangierten, um Lesben zu treffen, die ihre Fragen beantworten könnten, kamen nur Kerle; ihre Fische hatten sie nicht mitgebracht. Sawyer kommentiert das so:

Die Statusdiskrepanz zwischen Kerl und Fisch waren in Jims Gruppe so stark, dass ich, um einen Fisch zu interviewen, es über ihren Kerl anrangieren musste.

Die Nebensächlichkeit der Fische ergab sich deutlich aus der Tatsache, dass

ihr Beziehungsumfeld häufig Personen einschließt, die nicht homosexuell sind; ihre heterosexuellen Kontakte sind viel zahlreicher, und im allgemeinen sind sie der Lesbenszene sozial, sexuell und psychologisch weit weniger eng verhaftet.

Für Forscherinnen, die in der Gegenwart Femmes aus den 50er Jahren interviewen wollen, stellt sich dasselbe Problem. Davis und Kennedy ( Boots of Leather, Slippers of Gold: The History of a Lesbian Community) machten diese Erfahrung in Buffalo. Sie weisen darauf hin, dass ihre „ihre Informationen über Femme-Sexualtiät nicht so weitreichend sind, wie die über KV-Sexualität, weil wir mit weit weniger Femmes sprechen konnten.“ Aber sie konnten „Äußerungen von KVs verwenden, die sich die Femmes ausgesucht und sie geliebt hatten„. Tatsächlich wird Davis und Kennedys Aufsatz von einer Diskussion der KV-Sexualität beherrscht, und die Stimme der Femme fehlt fast völlig. Das hat unheimliche Ähnlichkeit mit den Schwierigkeiten, die Geschichte der Frauen im allgemeinen zu erforschen, wobei die Frauen schwer fassbar sind, es aber immer jede Menge Männer gibt, die an ihrer Stelle sprechen und sie erklären. Diese Analogie stimmt natürlich nicht hundertprozentig, aber hier liegen Probleme für die lesbische historische Forschung. Akzeptieren wir, dass der KV die archetypische Lesbe ist, wie die meisten Schriften über das Rollenspiel unterstellen, sogar jene, die von Femmes wie Joan Nestle geschrieben wurden? Akzeptieren wie, dass die Femme nebensächlich war und hauptsächlich als Spiegel diente, mit dessen Hilfe sich der KV verwirklichen konnte? Mit Sicherheit gibt es Hinweise darauf, dass die Rolle der Femme keine ebenbürtige, sondern eine andere Wahl von Lebensformen war und ist. Femmes wurden nicht als „echte“ Lesben betrachtet, sondern als unauthentisch, untergeordnet und nebensächlich.

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Butches mit ihren Femmes, ca 1950

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ca 1963

Der KV
Worin bestanden die Vor- und Nachteile für den KV? Der hohe Status muss ein Vorteil gewesen sein. Inmitten all des Hasses, den die heterosexuelle Welt auf die Lesben hatte, konnten sich die KV-Lesben wenigstens jemandem überlegen fühlen – der Femme. Aber neben diesen ziemlich begrenzten Ego-Steigerung gab es doch, wie die meisten Äußerungen verraten, gravierende Nachteile. Eine KV-Berichterstatterin erklärt Davis und Kennedy, warum sie immer in Kleidern ins Bett gegangen sei:

Es führte dazu, dass man sich in seinem weiblichen Körper unbehaglich fühlte. Man wollte nicht, dass die Frauen, mit denen man zusammen war, die Ähnlichkeit bemerkten.

Julia Penelope stellte fest: „Der emotionale und sexuelle Schaden, der mir dadurch widerfuhr, dass ich in den Beschränkungen meiner KV-Rolle lebte, hat mich Jahre gekostet, in denen ich ihn identifizieren, verstehen und mich von ihm befreien musste …“ Penelope beschreibt die Schwierigkeiten ihres Kampfes, sich von den Überbleibseln der KV-Rolle zu befreien, doch diese Kampf führte dazu, dass sie sich einiger machtvollen Freuden bewusst wurde, die ihr als KV unerreichbar gewesen waren: „Ich habe die köstliche Freude kennengelernt, einer anderen Lesbe zu gestatten, mich zu berühren und meine Gefühle sich durch meinen Körper bewegen zu lassen und mir meiner Gefühle bewusst zu sein.“

Cherry Moraga zeigt, obwohl sie sich in ihrer Diskussion mit Amber Hollibaugh an einer Attacke gegen die prüden, gegen Sex eingestellten lesbischen Feministinnen beteiligt, die die Freuden des Rollenspiels nicht verstehen, doch eine erhebliche Ambivalenz gegenüber den sexuellen Problemen, die das KV-Sein mit sich bringt:

Manchmal fühle ich mich sehr zu KVs hingezogen. Ich habe nie so ganz damit gerechnet, die „Geliebte“ zu sein, und ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich dazu einen KV oder eine Femme oder irgendetwas anderes brauche. Ich weiß, dass es in mir selbst deswegen einen Kampf gibt, und es macht mir eine Scheißangst, das so direkt zu betrachten. Ich habe diese Art Sucht emotional schon durchlaufen, aber den Sex da ins Spiel zu bringen, schein mir etwas sehr Gefährliches zu sein.

Moragas Erklärung für das Verhalten der Total KVs hat nichts Mitreißendes. Sie versteht, wie die Befragte in den Interviews von Davis und Kennedy, die ihre Kleider anbehalten musste, dass Total-KV-Verhalten als Ergebnis eines Unbehagens darüber, dass sie einen weiblichen Körper hat. Ein derartiger Total-KV, stellt Moraga fest,

will ihre Weiblichkeit nicht empfinden, weil du für sie die „echte“ Frau bist, und wenn sie mit dir Liebe macht, braucht sie ihren eigenen Körper nicht als Objekt der Begierde zu fühlen. Sie kann eine Art „körperloser“ Liebhaber sein. Wenn du dich also umdrehst und mit ihr Liebe machen willst und willst, dass sie sich physisch als Frau fühlt, dann empfindet sie das als ABNORM.

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Das Total-KV-Sein wird hier identifiziert als eine verinnerlichte Angst vor Lesben, als Versuch, zu vermeiden, sich selbst als Lesbe zu erkennen. Viele Lesben, die in den 50er und 60er Jahren ihr Coming Out hatten, erzählten, dass sie, was das Rollenspiel betraf, gar keine Wahl hatte; sie wurden da hineingezwungen durch das Unvermögen der Lesbenszene, zu akzeptieren, dass irgendeine Lesbe weder das eine noch das andere war. Luchia Fitzgerald beschreibt, wie sie ins Rollenspiel hineingedrängt wurde, als sie in den 60er Jahren in Manchester in die Schwulenszene kam:

Ich war schockiert, dass manche Frauen angezogen waren wie Männer. Ich konnte das nicht verstehen, warum Frauen wie du und ich, die gegenüber anderen Frauen dieselben Gefühle hatten wie ich, sich wie Männer verkleideten. Zuerst wurde ich in der Schwulenszene nicht akzeptiert, weil mir als Männer verkleidete Frauen gefielen und feminine Frauen auch, und deshalb nannten mich die Frauen eine Zwitterin. Aber nach einem halben Jahr konnte ich es nicht mehr aushalten, also dachte ich, du siehst in einem Scheißrock ja auch lächerlich aus und ging hin und ließ mir die Haare kurzscheren … ich wurde da reingezwungen. Wenn sie mich in Ruhe gelassen hätten, wäre es okay gewesen, aber ich wurde in die Rolle reingeschubst.

Penelope erklärt, dass ihr „Total-KV“-Sein zum Teil mit ihren Inzesterfahrungen zu tun hatte. Indem sie die Fassade des KV annahm, schützte sie sich davor, sich emotional und sexuell mit den Konsequenzen dieser Erfahrung, zum Beispiel ihrer „völligen Unfähigkeit zur Intimität“, auseinandersetzen zu müssen. Die Teilnahme an einer Gruppe für Inzestopfer half Penelope dabei, „mir über die Art klar zu werden, in der meine Inzesterfahrungen meine sexuellen und emotionalen Reaktionen entstellten und verkümmerten.“

Als lesbisch-feministische Gemeinschaft haben wir das Thema Inzest gut und mutig erforscht, haben jedoch im allgemeinen da aufgehört, wo wir die Implikationen des Missbrauchs für die Konstruktion unserer Sexualität hätten in Betracht ziehen müssen. Wir können es uns nicht leisten, dort stehen zu bleiben, und Lesben wie Penelope sind Pionierinnen einer neuen Offenheit. Das ist nicht die Art von Tollkühnheit, die die Sadomasochistinnen so lieben, sondern eine Offenheit gegenüber unseren Verletzungen und Schmerzen und dem gegenüber, was sie uns antun.

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Es mag jetzt so scheinen, als wären sie Nachteile der KV-Sexualität klar, aber für jene Lesben, die so eifrig dabei sind, das Rollenspiel heute wiederzuentdecken, sind sie es nicht. Genau die sexuellen Einschränkungen des sexuellen Ausdrucksvermögens, die das Rollenspiel mit sich bringt, haben sich nach Davis und Kennedy in eine „authentische lesbische Sexualität“ verwandelt. Davis und Kennedy verkünden, dass ihre „Untersuchung der Ansicht widerspreche, nach der KV- und Femme-Rollen lediglich eine Nachahmung der sexistischen heterosexuellen Gesellschaft seien“. Es stimmt, dass der KV die physisch aktive Partnerin sei,

jedoch anders als die Dynamik in vielen heterosexuellen Beziehungen war es das oberste Ziel des KV, einer Femme sexuelles Vergnügen zu bereiten; indem die Femme befriedigt wurde, erhielt der KV seine Erfüllung. Was die Femme betraf, so wusste sie nicht nur, was ihr physisch Lust bereiten würde, sondern sie wusste auch, dass sie weder das Objekt noch das Gefäß für jemandes anderen Befriedigung war. Die Quintessenz dieser emotionalen und sexuellen Dynamik liegt in dem Ideal des „Total-KV“, des unberührbaren KV, das in dieser Zeit vorherrschte. Ein „Total-KV“ macht das ganze „Machen“ und erlaubt ihrer Geliebten niemals, das Gleiche zu tun. Unberührbar zu sein, hieß, Lust aus einem Lustgeben zu ziehen. Und auf diese Weise verwandelten diese Frauen, obwohl sie sich an heterosexuellen Mustern orientierten, diese Muster in eine authentisch lesbische Interaktion. Durch das Rollenspiel entwickelten sie bestimmte und befriedigende Ausdrucksweisen der sexuellen Liebe von Frauen für Frauen.

Wenn genau diese Einschränkungen der Sexualität im Rollenspiel „authentisch“ sind, dann müssen Lesben, die versuchen, die Einschränkungen zu überwinden und ihre sexuellen Wahlmöglichkeiten und Erfahrungen zu erweitern, notwendig „unauthentisch“ sein. Da gibt es dann wenig Hoffnung, dass Frauen ihre Sexualität verändern, denn wer will schon unauthentisch sein? Glücklicherweise haben viele KVs den Entschluss gefasst, ihren sexuellen Horizont auszudehnen.

(Dieser Aufsatz von Sheila Jeffreys stammt aus dem in Deutschland 1991 erschienenen Buch “FRAUENLIEBE” – UND SIE LIEBTEN SICH DOCH – Lesbische Frauen in der Geschichte 1840- 1985.)

P.S.: Nach dem letzten (eingerückten) Zitat, das die Butch-Femme-Dynamik im Schlafzimmer erklärt, verstehe ich endlich, warum Rollenspiel affine Lesben so oft sagen, dass Butch und Femme nicht die Heterosexualität nachahmen würde, bzw. die Interaktionen zwischen Mann und Frau, sondern dass die beiden Rollen etwas völlig Anderes und jeweils ein eigenes Gender wären. Die haben sozusagen aus „der Not eine Tugend gemacht“, weil frau mit bestenfalls einem „Gummischwanz“ eher wenig körperliches Vergnügen empfinden kann. Ich habe ja in Prinzip nichts gegen diese Dynamiken – dass eine der Frauen die jeweils andere „verwöhnt“, gleichzeitig ist ja eher kompliziert, aber das dann gleich in zwei jeweils entgegensetzte Rollen festzuzementieren. Das wäre mir persönlich zu eng und erinnert mich irgendwie an dieses seit der griechischen Antike existierende Männerding von „Aktiv-Passiv“. Der aktiv penetrierenden ist der „Mann“ und der, der penetriert wird die „Frau“ und oft jünger (Knabenliebe!) und hierarchisch drunterstehend. Das Butch-Femme-Ding ist dann, dank der körperlich-genitalen Verschiedenheit der Frau, eine irgendwie verdrehe Version davon. Gut, wem es hilft, der kann bei diesem link hier weiterlesen: Butch-Femme und andere Geschlechter/de/konstruktion, oder sich im butch-femme-forum weitervergnügen.

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…das sind so die Argumente der Rollenspiel-Gender-Revival-Befürworterinnen..

Fortsetzung folgt…