Ich möchte hier die Seite the-clitoris.com vorstellen, die sich mit der weiblichen Sexualität, dem Körper und der Sinnlichkeit und deren steten gesellschaftlichen Tabuisierung beschäftigt. Manche werden denken, dass wir heutzutage schon viel freier sind, was Sexualität im Allgemeinen betrifft, vor allem, da in den letzten Jahrzehnten die Bilderflut an nackten und sexualisierten Frauenkörpern in Werbung, Filmen und Fernsehen extrem zugenommmen hat und im Internet Pornos nun auch für Frauen (theoretisch) zugänglich geworden sind. Dadurch entsteht der Eindruck, dass Sex etwas viel öffentlicheres geworden ist und in den letzten Jahren wurden z. B. die Internetpornos in den Medien auch thematisiert und darüber diskutiert. Viele Frauen wollen sich mit Pornographie jedoch nicht wirklich auseinandersetzen. Sie haben Angst davor und verdrängen es lieber, und es gehört sich ja auch nicht sich als Frau so etwas anzuschauen. Pornographie, das ist doch Sache der Männer und ich habe da nichts zu suchen… ein seltsames Paradoxon, wenn man bedenkt, dass Frauen die Hauptdarstellerinnen in diesen eher von Gewalt und Erniedrigung als von wirklicher Freude und Lust am Sext geprägten Darstellungen sind. Auch wenn Frauen Pornographie nicht mögen sollten sie sich zumindest damit auseinandersetzen um ein Bewusstsein dafür zu bekommen, dass die männliche Sexualität irgendwie „anders“ ist und wohlmöglich mit den eigenen Bedürfnissen wenig zu tun hat.
Man könnte sagen, dass in diesem Jahrhundert eine Emanzipation der männlichen Sexualität stattgefunden hat und dass Frauen mit ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen darin unterzugehen drohen, bzw. zu wenige eigene Bilder dem entgegensetzen. Und mir ist aufgefallen, dass Frauen in meiner Generation und darunter sich eher der männlichen Sexualität anpassen, sich den sexuellen Wünschen ihres Freundes unterordnen (sich z. B. Pornos mit ihm anschauen und diese dort gezeigten Praktiken wie Analverkehr oder „Deepthroat“ dann nachmachen), diese dann für die eigenen halten und sich dennoch dabei irgendwie unwohl fühlen. Und viele junge Frauen kommen erst gar nicht dazu eine eigenständige Sexualität zu entwickeln, da sie schon so früh wie möglich einen Freund haben wollen an dessen Bedürfnisse sie sich dann anpassen.
In der Realität herrschen nach wie vor eher konservative Vorstellungen davon, ob und wie Frauen ein eigenes Sexualleben zugestanden wird. Was Frauen selbst wollen, was sie sich selbst vorstellen und der Konflikt der zwischen der eigenen Gefühlsrealität und der gesellschaftlichen Realität (welche Männer in einer Beziehungen immer auf ihrer Seite haben) besteht, damit beschäftigt sich u.a. die Seite the-clitoris.com. Die Texte erinnern sehr stark an den Hite-Report von Shere-Hite (siehe Leiste oben „Theoretischer Background“), stellen viel Aufklärungsmaterieal über den weiblichen Körper bereit und behandeln z. B. Themen wie Techniken der Selbstbefriedigung und weibliche Fantasien recht ausführlich.
The-clitoris.com gibt es in sowohl in deutscher als auch in englischer, französischer und spanischer Version (die englische ist die ursprüngliche und auch lohnenswert zu lesen) und ist meiner Meinung nach die umfangreichste Seite zum Thema weiblicher Sexualtität, die es im Internet zur Zeit gibt. Ich bin zwar nicht mit allen Aussagen komplett einverstanden (z. B. dass der klitorale Orgasmus angeblich stärker und „besser“ als der vaginale sein soll), finde es aber sehr angenehm, dass diese Seite sich nicht so sehr auf die reine Heterosexualität beschränkt wie diverse aktuelle Sexratgeber, die man in konventionellen Buchhandlungen im Moment so findet.
Apropos Porno:
Erika Lust macht m. E. gute Pornos für Frauen. Ihr lesenswerter Blog mit Links zu ihren Filmen
LG,
Lucia
Vielen Dank für den Link! Die Seite ist wirklich sehr informativ und baut genau auf dem richtigen Ansatz auf: nämlich, dass Frauen sexuelle Wesen sind, denen aber gesellschaftlich bedingt jede Triebhaftigkeit abgesprochen wird. Hierzu meine Ergänzung: man betrachte sich den Artikel zu Mädchen, nämlich DAS. Früher gefolgt von der Stufe DAS Fräulein. Und erst durch die (natürlich heterosexuelle) Ehe, also den Sex mit einem Mann, wurde die Frau zur Frau…
@Lucia,
danke, werde mir den Link mal anschauen…
@Nora,
habe da ein ganz passendes Zitat von Simone de Beauvoir gefunden (deren Werke in vielerlei Hinsicht immer noch aktuell sind):
„Dasein heißt: … sich in die Welt werfen; jene Menschen, die diese Bewegung absichtlich aufhalten kann man als Menschen minderen Ranges (lies: Frauen minderen Ranges) betrachten, denn wohl haben sie Augen und Ohren, aber von Kindesbeinen an stellen sie sich blind und taub, kennen weder Liebe noch Verlangen.“
Die Sexualität ist die Hauptantriebskraft für aktives Handeln in der Welt… für Männer ist das etwas ganz selbstverständliches, für Frauen wohl nicht.
Als Frau ein Begehren zu haben heißt, lebendig zu sein, überhaupt zu „existieren“… Es ist nicht nur im „sexuellen“ Sinne ein Begehren sondern es richtet sich auf die Welt und ist der Wunsch nach einer authentischeren weiblichen Selbstverwirklichung (jenseits der Rollen, die Männer für Frauen vorgesehen haben).
Ansonsten verfallen die meisten Frauen wohl irgendwann in einer Art abgestumpftes Robotertum und verdrängen ihre eigenen Bedürfnisse, verlieren ihre innere Stimme, spätestens dann, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, sich mit der männlichen Welt und ihren (ungeschriebenen) Regeln auseinanderzusetzen (z. B. nach dem Studium) Und es gibt keine wirklichen Wahlmöglichkeiten, die vermeintlichen Arten der „Selbstverwirklichung“, die das Patriarchat einem anbietet sehen in etwa so aus: man kann einen(Männer-)Beruf wählen und in dieser abstrakten/faden, das private verleugnenden Realität als „Mann ehrenhalber“ Karriere machen (wenn man es überhaupt schafft alleine gegen die für Frauen undurchlässigen Netzwerke und Seilschaften der Männer anzukommen und nicht total daran verzweifelt), heiraten und abhängig vom Mann und seinen Rollen-Vorstellungen sein (Mutter für ihn und die Kinder), oder vielleicht auch gleich die „hyperemanzipierte“ Doppelbelastung wählen.
Dass man letztendlich zu etwas gezwungen wird und keine freie Wahl hat, wird von den meisten Frauen verdrängt und bzw. verschönert dargestellt (z. B. hat mir eine ehemalige Komilitonin gesagt, dass sie plötzlich „Lust“ hatte schwanger zu werden, genau zu dem Zeitpunkt, als sie im Opernstudio gesungen hat und da total schlecht bezahlt und ausgebeutet wurde).
Ja, da ist wirklich was dran. Es ist unfassbar, wie passiv manche Frauen sind und wie sich sich selbst belügen, nur damit sie sich nicht eingestehen müssen, dass ihr Leben eigentlich nicht so läuft, wie sie es mal geplant hatten (vor der Ehe versteht sich).
Sehr lesenswert ist da auch Bascha Mikas „Die Feigheit der Frauen“. Sie beschreibt da unter anderem genau das Phänomen, auf das du anspielst, nämlich dass viele Frauen mit exzellenter beruflicher Ausbildung sich in den „sicheren“ Hafen des Ehefrau- und Mutter-Daseins (sie nennt es „Komfort-Zone“) zurückzuziehen, sobald es im Beruf mal nicht läuft. Sie sagt, dass der Reiz daran die hohe gesellschaftliche Anerkennung sei, die damit einhergeht (wie schon vor 100 Jahren…).
Ich finde, dass man diese ganze Passivität auch auf den sexuellen Bereich übertragen kann und muss. Denn wenn ich höre, wie viele Frauen regelmäßig nicht zum Orgasmus kommen (zumindest, wenn die Statistiken da stimmen) und auch nicht darauf bestehen, dann frage ich mich doch, wie gut sie ihren Körper kennen und was sie von ihrem Partner einfordern. Aber auch hier sagen Frauen ja gerne „aber es ist doch auch ohne schön“… Wieder das Schönreden, um nichts ändern zu müssen.
Nur müssen sich Frauen im Jahr 2011 auch mal an die eigene Nase packen. Es stimmt, dass in dieser Welt männliche Regeln gelten. Trotzdem wird sich das gerade nicht ändern, wenn Frauen sich nach der Ehe aus dem öffentlichen Leben zurückziehen, sich finanziell abhängig machen und auch sexuell nichts einfordern.
@Nora
ich würde sogar sagen, dass die Passivität von Frauen im sexuellen Bereich (also im Begehren) anfängt; und sich dann auf alle anderen Lebensbereiche überträgt. D. h. wenn eine Frau nichts wirklich aktiv will/begehrt, dann sieht sie wohlmöglich auch keinen Sinn darin sich in der Welt zu engagieren und nimmt was sie gesellschaftlich angeboten bekommt, da dieses bequemer ist als für die eigenen Vorstellungen und Wünsche zu kämpfen. Sie fügt sich der Rolle (und der Biologie?)
Ja, das macht Sinn. Allerdings bin ich da eher soziologisch geprägt, d.h. ich sehe die Biologie nicht als Grund für das Rollenverhalten an. Das war in der Steinzeit zwar sicherlich so, durch die vorhandenen körperlichen Unterschiede. Aber dass wir das bis jetzt nicht geändert haben, bedarf für mich anderer Erklärungen.
Viele eher glaube ich, dass uns regelrecht das Gehirn gewaschen wird, ohne dass wir es merken. Nur mal ein Beispiel aus dem täglichen Leben: Frauen und Männer werden in der Werbung fast immer unterschiedlich abgelichtet – Frauen aus einer höheren, Männer aus einer niedrigeren Perspektive. Die Wirkung ist, dass Frauen kleiner und gefälliger wirken, während Männer stärker und unnahbarer wirken. Natürlich wird dies durch die entsprechenden Gesichtsausdrücke (bzw. Grimassen) häufig verstärkt. Von klein auf sind wir umgeben von diesen Bildern, sodass wir sie internalisieren. Und das ist nur ein Beispiel…
Sehr schön sind da Mapplethorpes Fotos, auf denen er die Bodybuilderin „Lisa Lyon“ aus genau dieser Perspektive fotografiert hat (die übrigens einen schönen, femininen Körper hat). Die Tatsache, dass man das im ersten Moment als völlig skurril wahrnimmt, zeigt, wie sehr wir die Rollenbilder internalisiert haben.